Offener Brief von Berliner Pflegestudierenden an die Politik: Hilferuf aufgrund der prekären finanzielle Situation
Pflegestudierende fordern eine angemessene Vergütung und warnen vor dem steigenden Pflegenotstand.
Am 13. Oktober 2021 eröffentlichten die Pflegestudierenden dreier Berliner Hochschulen einem Offenen Brief an politische Entscheidungsträger*innen in dem Sie die prekäre finanzielle Situation und die Folgen für die Akademisierung der Pflege beklagten.
Offender Brief an den regierenden Berliner Bürgermeister, Senator*innen, Fraktionsvorsitzende, Parteimitglieder, Abgeordnete im Berliner Abgeordnetenhaus, an den Gesundheitsminister, Fraktionsvorsitzende und Mitglieder des Bundestages
Betreff: Prekäre finanzielle Situation von Pflegestudierenden
Dieser Brief ist ein Hilferuf! Wir brauchen dringend eine angemessene Vergütung für uns Pflegestudierende, sonst steht die so wichtige Akademisierung der Pflege bald vor dem „Aus“. Vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und dem bereits offenkundigen Pflegenotstand gewinnt die generalistische Ausbildung und vor allem die Akademisierung der Pflege deutlich an Bedeutung. Akademisierte Pflegende sind in anderen Ländern längst etabliert. Für Deutschland ist es zu begrüßen, dass bei zunehmenden komplexeren Versorgungsverhältnissen dieser Weg nun auch erstmals bestritten wird. Akademisierte Pflegekräfte sind notwendig um evidenzbasierte und gleichzeitig innovative Versorgungskonzepte in die Praxis zu transferieren. Wir Pflegestudierende werden explizit dazu ausgebildet, wissenschaftliche Erkenntnisse zu generieren aber auch vorhandene zu identifizieren und zu verstehen. Hochkomplexe Versorgungssituationen benötigen ein umfassendes und wissensbasiertes Vorgehen. Die Anforderungen an uns sind also hoch und die Ausbildung entsprechend anspruchsvoll. Selbst während der Pandemie haben wir uns dafür entschieden diesen Weg zu gehen. Wir möchten die berufliche Pflege bereichern und die Versorgungssituation verbessern. Jedoch geraten viele von uns unter enormen finanziellen Druck.
Wir Pflegestudierenden müssen in Deutschland, innerhalb von üblicherweise 7 Semestern, 4.600 Pflichtstunden absolvieren. Mindestens 2.100 Stunden davon in Theorie an der Hochschule und mindestens 2.300 Praxisstunden in verschiedenen ambulanten, akut- und langzeitstationären Einrichtungen. Das bedeutet, dass knapp 50 % unserer Studienzeit aus Theorie besteht, während wir die anderen 50% unserer Studienzeit mit 40 Stunden pro Woche im pflegerischen Schichtdienst verbringen. Im Gegensatz zur beruflichen Ausbildung wird jedoch keine der geleisteten Pflichtstunden vergütet. Wer kein Bafög bekommt und nicht von den Eltern unterstützt wird, ist gezwungen zusätzlich abends, nachts und an den Wochenenden arbeiten zu gehen, um Geld zum Überleben zu verdienen. Viele von uns kommen deshalb auf eine 50 bis 70-Stunden-Woche und leben dennoch am Existenzminimum. Dies führt zu einer enormen emotionalen, körperlichen und finanziellen Belastung! Arbeitnehmer*innen sind durch das Arbeitsrecht vor solchen hohen Belastungen geschützt. Für Studierende greift dieses Gesetz nicht. Neben diesem immensen Pensum ist wohlgemerkt kaum Zeit, um interessante Themen für das Studium zu vertiefen, sich am Hochschulleben zu beteiligen oder ausgiebig für Prüfungen zu lernen. Die genannten Umstände führen dazu, dass bereits viele unserer Kommiliton*innen das Studium abgebrochen und die Pflege verlassen haben. In einigen Jahrgängen schon nach einem Jahr an die 50%.
Wir brauchen dringend ein tragfähiges Finanzierungsmodell für uns Pflegestudierende, sonst kommt die so wichtige Akademisierung der Pflege nur schwer voran und der Pflegenotstand steigt weiter.
Wir lieben die Arbeit mit Menschen, uns liegt das Wohlergehen pflegebedürftiger Personen am Herzen. Für uns ist Pflege ein Traumberuf! Aber warum macht es uns die Politik so schwer, diesen Beruf zu erlernen? Wir wollen gegen den Pflegenotstand angehen und uns für die Gesellschaf engagieren. Doch unter diesen prekären Umständen wird es vielen von uns nicht länger möglich sein, dieses Ziel zu verfolgen. Braucht Deutschland neue Pflegefachkräfte, die schon mit einem Burnout in den Arbeitsmarkt einsteigen?
Wir fordern die gleiche Vergütung wie sie die Auszubildenden zur Pflegefachkraft und die Studierenden eines Hebammenstudiums erhalten, denn wir haben denselben zeitlichen Aufwand und erbringen dieselben Leistungen.
Wenn Ihnen etwas daran liegt den Pflegenotstand tatsächlich zu bekämpfen und etwas für eine gute Pflege zu tun, dann handeln Sie bitte jetzt! Helfen Sie uns eine faire Vergütung zu bekommen, helfen Sie uns ein Teil der Lösung für den Pflegenotstand sein zu können.
Wir sind die Zukunft der Pflege in Deutschland! Lassen Sie uns nicht im Stich!
Es unterzeichnen – die Pflegestudierenden der »Taskforce Pflege Bachelor«
Harriet Franz – Charité
Christanna Quack – Alice Salomon Hochschule
Stefan Pavljak – Charité
Jelena Gräf – Charité
Laura Marie Meyer – Charité
Sally Naima Gminder – Evangelische Hochschule Berlin
Luca-Leon Hauser – Charité
Elodie Bossert
Kerstin Böhm, M. A.
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